Die Forschung entwickelt neue Behandlungsansätze für Menschen mit fortschreitenden, bislang nicht therapierbaren Netzhauterkrankungen: Ein vielversprechender Ansatz zur Hemmung des Proteins VCP könnte den Verlust von Sehzellen verhindern und somit Sehverluste verzögern oder sogar stoppen.
Die Netzhaut enthält Millionen von Stäbchen und Zapfen, lichtempfindliche Photorezeptoren, die die unterschiedlichen Spektren des Lichts wahrnehmen. Bei erblich bedingten Netzhautdystrophien funktionieren diese nicht richtig, was zu Sehverlust führt. Auslöser kann eine Mutation in einem von mehreren hundert Genen sein, die die zur Funktion der Netzhautfunktion beitragen. Deshalb sucht die Forschungsgruppe von Prof. Ueffing an der Universität Augenklinik in Tübingen nach Ansätzen, die die Zerstörung der Netzhaut stoppen oder verlangsamen, die unabhängig von der Mutation wirksam sind. Ein möglicher Ansatz ist die Stabilisierung des Energiegleichgewichts in der Netzhaut mit Medikamenten
In Stäbchen, hochempfindlichen Photorezeptoren für das Sehen bei schwachem Licht, werden täglich viele Kopien, etwa drei Millionen Kopien pro Tag, des Proteins Rhodopsin hergestellt. Das Sehpigment Rhodopsin ist zentral für die Lichtwahrnehmung in Stäbchen. Sein Ausfall macht nachtblind. Diese enorme Proteinproduktion wird innerhalb der Zellen streng prozess- und qualitätskontrolliert. Was die die Zelle angesichts der enormen Produktion von Rhodopsin energetisch stark fordert.
Ein Schlüsselprotein, das diesen Prozess kontrolliert, heißt VCP (Valosin-Containing Protein). VCP kontrolliert zusammen mit einer Reihe von Partnerproteinen als molekulare Maschine die richtige Faltung von Proteinen. Sie überprüft die Qualität der Proteine in der Zelle. Wenn es viele falsch gefaltete Proteine gibt, reagiert die Zelle mit einer Stressantwort namens „Unfolded Protein Response“ (UPR). Anhaltender UPR führt zur Degeneration der Photorezeptoren.
Bei Tieren mit einer bestimmten Form der Netzhauterkrankung, hier einer autosomal dominanten Retinitis Pigmentosa (adRP), konnte die Arbeitsgruppe von Marius Ueffing zeigen, dass die medikamentöse Hemmung von VCP die Degeneration der Stäbchen verhindert. Außerdem wird der Transport von Rhodopsin in die für das Sehen zentralen äußeren Segmente der Stäbchen wiederhergestellt und die Funktionsfähigkeit der Zellen, Licht wahrzunehmen, dadurch verbessert. Diese Hemmung kann mit kleinen Molekülen oder speziellen Nukleotiden (Antisense-Oligonukleotide, ASO) erreicht werden.
„Die Zellen bleiben stabil,
obwohl ein genetischer Defekt vorliegt.
Es war jedoch unklar, ob diese
Behandlung auch die Degeneration der
Zapfen verhindern kann.“
Zapfen sind entscheidend für das menschliche Sehen, da erst ihr Verlust bei den meisten Netzhauterkrankungen zur Erblindung führt, selbst dann, wenn primär die Stäbchen zuerst betroffen sind. Therapien, die die Zapfen erhalten, erhalten das zentrale Sehen in der Makula, dem zentralen, zapfenreichen Bereich der Netzhaut. Die dort in ihrer höchsten Dichte vorhandenen Zapfen sind zentral für die Sehschärfe, das Lesen, das Erkennen von Objekten und Gesichtern und das Wahrnehmen von Farbe.
Das Ziel der Arbeit von Ana Almansa-Garcia war daher zu untersuchen, ob die VCP-Hemmung die Zerstörung der Zapfen reduzieren oder stoppen kann. Um dies herauszufinden, verwendete sie Zellkulturen aus Tiermodellen und menschlichen Netzhautproben. Die Ergebnisse ihrer Arbeit zeigen, dass die Hemmung von VCP die Netzhaut sowohl bei primärer als auch bei sekundärer Zapfendegeneration schützt. Dieser Schutz wurde in allen untersuchten Modellen bestätigt, ohne dass schädliche Nebenwirkungen auftraten.
„Wir haben im Tiermodell festgestellt, dass Photorezeptorzellen nicht nur überleben, sondern nach Behandlung auch stabiler und funktionstüchtiger sind, obwohl ein genetischer Defekt vorliegt“ beschreibt der Forschungsleiter Prof. Ueffing die Ergebnisse.“
Das Projekt wurde von der Pro Retina – Stiftung zur Verhütung von Blindheit unterstützt. Diese Ergebnisse sind vielversprechend. Inzwischen wird es von der kanadischen Stiftung „Fighting Blindness Canada“ und von privaten Spenden, die dem Projekt aus Mitteln der Kerstan Stiftung und der Stiftung für Medizininnovation zufließen, weiter gefördert. Das Ziel ist es, in drei Jahren eine klinische Studie zu beginnen. „Unsere Hoffnung ist, dass wir mit dieser Therapie vielen Menschen helfen können, die von Erblindung bedroht sind“, so Ueffing.